Auch die Bilder der totalen Zerstörung dieser Stadt machen mich traurig, die ich vor zehn Jahren besucht hatte und die ich nun kaum mehr wiedererkenne: die tausendjährige Zitadelle, der Markt, in welchem ich wie die meisten Touristinnen die berühmte Aleppo-Seife kaufte und einen Schal erstand – alles liegt in Trümmern.
Diesen Schal aus Aleppo trug ich am Sonntagabend an einer Mahnwache auf der Place de la Riponne in Lausanne. 500 Personen drückten ihre Solidarität und ihr Entsetzen angesichts dieses grossen Unrechts aus. Der Schal wärmte meinen Hals, die schöne Zahl der Anwesenden wärmte mein Herz. Und doch sind die Menschen, die sich nicht informieren und nicht an der Mahnwache teilnehmen mochten, sehr viel zahlreicher.
Wie kann man ihnen dies auch verübeln? Was können denn die Kerzen schon ausrichten, die quer durch Europa für Syrien brennen… Das Gefühl der Machtlosigkeit herrscht vor. Und mit dieser Machtlosigkeit paart sich Gleichgültigkeit und Zynismus. Wir dürfen diese Gefühle nicht obsiegen lassen. Zwar wird unsere Aktion weder die russischen und syrischen Bombardierungen noch die Massenhinrichtungen verhindern, die von den bewaffneten Truppen begangen werden, um die Stadt zu «befreien». Unser Mitgefühl hindert sie nicht daran, Zivilistinnen und Zivilisten zu entführen oder zu töten. Nein, aber unser Engagement zeigt unseren Regierungen, dass uns das Schicksal der Menschen in Aleppo nicht egal ist.
Die Schweizer Regierung kann den Konflikt nicht beenden, aber sie hat Möglichkeiten, das Leiden zu lindern: indem sie sich auf der diplomatischen Ebene für die Entsendung unabhängiger BeobachterInnen einsetzt; indem sie finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, die für dringende Hilfsleistungen benötigt werden; indem sie SyrerInnen, die in der Schweiz leben, ermöglicht, ihre Verwandten ins Land zu holen.
Gegenwärtig ist der Familiennachzug nur für die eigenen Kinder und Eltern erlaubt. Warum können nicht unbürokratisch humanitäre Visa auch für Brüder, Schwestern, Nichten und Neffen, Grosseltern erteilt werden? Warum kann nicht einigen Tausend Menschen Schutz gewährt werden – wenn möglich noch bevor die grosse Kälte beginnt?
Eine solche Geste würde dazu beitragen, dass nicht noch mehr Frauen, Männer und Kinder in den Lagern im Libanon oder in der Türkei ausharren müssen. Dass nicht noch mehr Menschen mit einem Boot über das gefährliche Mittelmeer flüchten, und dabei das unsinnige Risiko eingehen zu ertrinken, – nur um nach Erreichen der griechischen Küste an den Grenzen Europas festzusitzen.
Wir können Aleppo nicht retten. Aber wir können auch nicht länger wegschauen. Schon gar nicht in der Weihnachtszeit, in der man doch so gerne von Solidarität und Hilfsbereitschaft spricht.