Idil Eser, zweite von Links in der unteren Reihe, und die anderen inhaftierten MenschenrechtsverteidigerInnen. © Amnesty International
Idil Eser, zweite von Links in der unteren Reihe, und die anderen inhaftierten MenschenrechtsverteidigerInnen. © Amnesty International

Kommentar Türkei: Meine Kollegin Idil sitzt im Gefängnis

29. August 2017. Von Manon Schick, Geschäftsleiterin von Amnesty International Schweiz, erschienen in 24heures.
Meine Kollegin Idil Eser sitzt seit Anfang Sommer im Gefängnis. Ihr Verbrechen? Nun, sie hat keines begangen. Sie ist nur einfach die Direktorin von Amnesty Türkei.

Manon Schick © AI Manon Schick, Geschäftsleiterin Amnesty International Schweizer Sektion. © AI Idil leitet die türkische Sektion unserer Organisation, so wie ich die schweizerische Sektion leite. Während ich meine Arbeit machen kann, ohne zu riskieren, dafür im Gefängnis zu landen, laufen Menschenrechtsverteidigerinnen wie Idil in der Türkei seit über einem Jahr Gefahr, als Terroristinnen verfolgt zu werden. Dabei Idil ist keineswegs die einzige, die hinter Gittern sitzt.

Zum ersten Mal in der Geschichte von Amnesty International sitzen der Präsident und die Direktorin einer Ländersektion gleichzeitig in Haft. Diese Premiere findet nicht in einer Diktatur statt, die für ihre Menschenrechtsabgründe berüchtigt ist, sondern in einem Land, in welchem der Präsident demokratisch gewählt wurde und für den sich Amnesty eingesetzt hatte, als dieser selber im Gefängnis sass.

Ich habe Idil vor einem Jahr kennengelernt, als sie die Leitung der türkischen Amnesty-Sektion gerade übernommen hatte. Die 53-Jährige mit ihren langen, grauen Haaren und dem ansteckenden Lachen, ist ein wahres Energiebündel und strahlt unendlichen Optimismus aus. Der Gedanke, dass sie nun in einer Gefängniszelle darbt, dreht mir den Magen um.
Idil hat ihre Eltern verloren, als sie noch sehr jung war. Sie sie selber hat keine Kinder. Ohne direkte Familienangehörige darf sie somit niemanden anderen im Gefängnis empfangen als ihren Anwalt. Ich hoffe so sehr, dass meine Postkarten sie erreichen. Aber ich habe keine Gewissheit, dass sie nicht direkt im Papierkorb des Gefängnisdirektors landen.

Meine Kollegin Idil wurde am 5. Juli gemeinsam mit zehn weiteren Vertreterinnen und Vertretern türkischer NGOs verhaftet – alles Menschen, die sich für die Wahrung der Grundrechte einsetzen. Sie hatten an einem zweitägigen Seminar teilgenommen, bei dem es um Datensicherheit und die Arbeit von MenschenrechtsverteidigerInnen ging. Mit dabei waren zwei Ausbildner aus dem Ausland – ein Deutscher und ein Schwede – die nun ebenfalls seit fast zwei Monaten inhaftiert sind. Das Seminar war eine routinemässige Weiterbildung, die in den Augen der Behörden aber offensichtlich ein gefährliches Verbrechen darstellt. Die Teilnehmenden deswegen ins Gefängnis zu stecken, ist ein grotesker Machtmissbrauch.

Die Anklagepunkte gegen Idil sind absurd: Sie habe gleich drei terroristische Organisationen unterstützt – Organisationen, die sich gegenseitig rivalisieren. Sie habe ausserdem zwei Kampagnen angeführt, von denen keine von Amnesty-Türkei organisiert war; eine war sogar abgeschlossen, noch bevor Idil überhaupt zu Amnesty stiess.

Diese Anschuldigungen bestätigen den gefährlichen Weg, auf dem die Türkei sich heute befindet: Die rechtmässigen Aktivitäten von Menschenrechtsverteidigern, von Journalistinnen und der Zivilgesellschaft werden zu Verbrechen erklärt. Es geht hier klar um politische Verfolgung. Ich fordere die türkischen Behörden auf, Idil und alle weiteren unrechtmässig Inhaftierten umgehend freizulassen.