© Amnesty International
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Briefmarathon 2022 / Internationaler Tag der Menschenrechte Das Recht auf Protest steht im Zentrum der grössten Menschenrechtsaktion des Jahres

Medienmitteilung 10. Dezember 2022, London/Bern – Medienkontakt
Zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, veranstaltet Amnesty International den globalen Briefmarathon. Die seit 2001 jährlich stattfindende Kampagne bietet Menschen aus über 200 Ländern die Gelegenheit, Briefe und Nachrichten zu schreiben: Für Menschen, deren Rechte in Gefahr sind.

Das Recht auf Protest wird aktuell verstärkt angegriffen – zuletzt etwa in Iran. Aus diesem Grund hat Amnesty International entschieden, den diesjährigen Briefmarathon mit der neuen weltweiten Kampagne «Protect the Protest» zu koppeln.

Amnesty Schweiz setzt sich in diesem Jahr für acht Personen ein, die einen hohen Preis dafür bezahlt haben, dass sie ihre Meinung kundgetan haben. Folgende Fälle stehen beim Briefmarathon 2022 im Zentrum: Der Fall einer Anwältin aus Hongkong, die inhaftiert wurde, weil sie Menschen dazu ermutigt hatte, Kerzen anzuzünden, um der Niederschlagung des Tiananmen-Protestes zu gedenken. Der Fall eines Iraners, der wegen friedlicher Proteste gegen Ungleichheit und politische Unterdrückung inhaftiert und gefoltert wurde und seit über zwei Jahren in Einzelhaft sitzt. Der Fall einer Russin, die gegen den Krieg in der Ukraine protestierte. Die Fälle von zwei Personen aus Paraguay, die für ihre trans Rechte kämpften, sowie von drei Aktivistinnen aus Simbabwe, die verprügelt, sexuell missbraucht und inhaftiert worden sind.

«Die Kampagne hat immer wieder gezeigt, dass Behörden zum Zuhören gezwungen werden und das Leben bedrohter Personen verändert werden kann, wenn sich genügend Menschen zusammenschliessen und Ungerechtigkeit anprangern.» Alexandra Karle, Geschäftsleiterin der Schweizer Sektion von Amnesty International

«Jahr für Jahr erinnert uns der Briefmarathon an die anhaltende Macht der kollektiven Aktion. Die Kampagne hat immer wieder gezeigt, dass Behörden zum Zuhören gezwungen werden und das Leben bedrohter Personen verändert werden kann, wenn sich genügend Menschen zusammenschliessen und Ungerechtigkeit anprangern», sagte Alexandra Karle, Direktorin der Schweizer Sektion von Amnesty International. «Überall auf der Welt ist das Recht auf Protest in Gefahr. Allein in den letzten 12 Monaten haben wir erlebt, wie Regierungen zahlreiche Protestbewegungen unterdrückt haben, von Iran über China bis hin zu vielen anderen Ländern. Es liegt daher auf der Hand, dass Aktivist*innen beim Briefmarathon 2022 ihre Solidarität mit den Menschen bekunden, die einen hohen Preis dafür zahlen, dass sie ihre Meinung offen äussern.»

Am Tag der Menschenrechte finden in allen Teilen der Welt zahlreiche Veranstaltungen statt, die mit der Amnesty-Kampagne in Verbindung stehen. Dazu gehören ein Konzert in der Elfenbeinküste, ein Halbmarathon in Simbabwe und öffentliche Briefschreibevents in zahlreichen Ländern der Welt. Auch in der Schweiz werden Aktivist*innen Briefe für bedrohte und verfolgte Menschen schreiben, so etwa in Solothurn, Biel, Bern und vielen anderen Schweizer Städten.

Worte, die Leben verändern

Jedes Jahr im Dezember schreiben Menschen auf der ganzen Welt Millionen von Briefen, E-Mails, Tweets, Facebook-Nachrichten und Postkarten, um Personen zu unterstützen, die zu Unrecht verfolgt werden. Diese Briefe haben seit 2001 dazu beigetragen, das Leben von mehr als 100 Menschen zu verändern und sie von Folter, Schikanen oder ungerechter Inhaftierung zu befreien. Bis 2021 wurden auf diese Weise nicht weniger als 4,5 Millionen Briefe verfasst.

Die Kampagne des letzten Jahres brachte den Fall des Lehrers und Umweltaktivisten Bernardo Caal Xol aus Guatemala ans Licht, der wegen erfundener Anschuldigungen, die seine Arbeit zum Schutz des Landes und der Ressourcen seines Volkes verhindern sollten, zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Während des Briefmarathons 2021 setzten sich über 500'000 Menschen für ihn ein, mit Erfolg. Bernardo Caal Xol wurde im März 2022 freigelassen. In einer Videobotschaft an die Aktivist*innen von Amnesty International sagte er: «Ich, Bernardo Caal Xol, Angehöriger des Maya-Volkes der Q'eqchi in Guatemala, möchte mich bei jedem von euch bedanken. Ihr habt mir Hoffnung auf Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichberechtigung gegeben, die für alle Völker und Nationen gelten sollten.»

Fokus auf das Recht auf Protest

In allen Teilen der Welt sehen sich Demonstrant*innen starken Einschränkungen ausgesetzt, die mit einer wachsenden Anzahl von Gesetzen und anderen Massnahmen einhergehen, die das Demonstrationsrecht einschränken. Dazu gehören die Verhinderung, das Verbot und die Kriminalisierung von Demonstrationen, die übermässige und ungerechtfertigte Anwendung von Gewalt, der illegale Einsatz bestimmter Instrumente zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, illegale Festnahmen und Inhaftierungen. Hinzu kommt eine zunehmende illegale Massenüberwachung und gezielte Überwachung, Internetblockaden und Online-Zensur sowie die Schikanierung und Stigmatisierung von Protestierenden.

Menschen, die von Ungleichheit und Diskriminierung betroffen sind, sei es aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, der Religion, des Alters, einer Behinderung, des Berufs, des sozialen Status, der wirtschaftlichen Lage oder ihres Migrationsstatus, sind am stärksten von den Einschränkungen betroffen, die ihr Demonstrationsrecht behindern, und müssen härtere Repressionen über sich ergehen lassen.

In diesem Jahr stellt der Briefmarathon acht Personen in den Mittelpunkt, für die die Repressionen der Regierung gegen das Demonstrationsrecht negative Folgen hatten:

  • Chow Hang-tung, eine Anwältin aus Hongkong, die derzeit eine 22-monatige Haftstrafe verbüsst, weil sie Menschen in sozialen Netzwerken dazu ermutigt hat, Kerzen anzuzünden, um der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste zu gedenken;
  • Alexandra Skochilenko aus Russland, der eine Haftstrafe von bis zu 10 Jahren droht, weil sie sich gegen die russische Invasion in der Ukraine ausgesprochen hat;
  • Vahid Afkari, der zu einer Gefängnisstrafe von mehreren Jahrzehnten und 74 Peitschenhieben verurteilt wurde, weil er an Demonstrationen gegen Ungleichheit und politische Unterdrückung im Iran teilgenommen hatte, und dessen Familie mehrfach zur Zielscheibe wurde, weil sie sich um Wahrheit und Gerechtigkeit bemühte;
  • Die simbabwischen Aktivistinnen Joanna Mamombe, Netsai Marova und Cecillia Chimbiri, die wegen ihrer Proteste entführt, verprügelt, sexuell missbraucht und inhaftiert wurden und später angeklagt wurden, über das Geschehen gelogen zu haben;
  • Yren Rotela und Mariana Sepulveda, zwei trans Frauen aus Paraguay, die von den Behörden daran gehindert werden, offiziell ihren Namen zu ändern.

Zusätzliche Informationen

Der Briefmarathon begann vor 21 Jahren in Warschau, Polen, als eine Gruppe von Freunden beschloss, den Menschenrechtstag mit einer 24-stündigen Aktion zu begehen. Von 2326 versandten Briefen im Jahr 2001 stieg die Zahl bis 2001 auf 4,5 Millionen Nachrichten in Form von Briefen, Tweets und Petitionsunterschriften. Beim Briefmarathon handelt es sich heute um die grösste Menschenrechtsaktion der Welt.
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