Der Boden beim Bomu Manifold, einer Shell-Einrichtung in Kegbara Dere im Rivers State, Nigeria, ist auch Jahre nach der Ölpest noch kontaminiert. © Amnesty International
Der Boden beim Bomu Manifold, einer Shell-Einrichtung in Kegbara Dere im Rivers State, Nigeria, ist auch Jahre nach der Ölpest noch kontaminiert. © Amnesty International

Shell – Nigeria Shell und die Ölverschmutzung im Nigerdelta – kein Ende in Sicht

18. Juni 2020
Knapp zehn Jahre nach dem Drängen auf eine Sanierung der von Shell und anderen Erdölunternehmen im Nigerdelta verunreinigten Landstriche kommt eine neue Studie von vier NGOs, darunter Amnesty International, zu einem erschreckenden Ergebnis: Die Säuberungsarbeiten haben erst an 11 Prozent der verseuchten Standorte begonnen, grosse Bereiche sind weiterhin stark kontaminiert.

Bereits 2011 legte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) einen Bericht vor, um die verheerenden Auswirkungen der Ölförderung im Ogoniland zu dokumentieren und Empfehlungen für die dringende Sanierung der betroffenen Gebiete zu geben. Die neue Studie stellt nun heraus, dass die von UNEP vorgeschlagenen «Soforthilfemassnahmen» nicht ordnungsgemäss umgesetzt wurden und das milliardenschwere Sanierungsprojekt der nigerianischen Regierung aus dem Jahr 2016 de facto wirkungslos geblieben ist. 

Die seit fünf Jahrzehnten laufende Öl- und Gasförderung hat zu einer umfassenden und anhaltenden Kontamination von Wasser und Boden der Ogoni-Gemeinden geführt. Das fortgesetzte und systematische Versagen von Ölfirmen und Regierung bei der Sanierung der verunreinigten Gebiete hat dazu geführt, dass Hunderttausende Angehörige des Ogoni-Volks schweren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind, kaum Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

In der Vergangenheit wurden zahlreiche Interessenkonflikte in Zusammenhang mit Shell aufgedeckt: Diese betreffen unter anderem die Leitung der staatlichen Institution zur Reinigung des Ogonilands, HYPREP (Hydrocarbon Pollution Remediation Project) und die nigerianische Regierung.

Godwin Ojo von Environmental Rights Action/Friends of the Earth Nigeria:

«Nach neun Jahren Versprechungen ohne wirkungsvolle Massnahmen und jahrzehntelanger Umweltverschmutzung haben die Menschen im Ogoniland genug von schmutzigem Trinkwasser, ölverseuchtem Fisch und giftigen Dämpfen. Sie haben genug davon, auf Gerechtigkeit zu warten und währenddessen krank zu werden und jeden Tag ein bisschen mehr zu sterben. Die nigerianische Regierung sollte endlich zugeben, dass dieses Projekt gescheitert ist. Zudem sollte sie HYPREP mit den erforderlichen technischen Möglichkeiten und dem notwendigen strategischen Sachverstand neue Kraft verleihen und dabei die Gemeinschaft der Ogoni vollumfänglich einbeziehen.»

Colin Roche von Friends of the Earth Europe:

«Neun Jahre sind vergangen und noch immer wurde das verseuchte Land nicht gereinigt. Auch Soforthilfemassnahmen für sauberes Trinkwasser und die Gesundheit der Betroffenen gibt es nicht, ebenso wenig Transparenz oder Rechenschaft. Wenn nicht rasch gehandelt wird, gibt es keine Gerechtigkeit. Während Ölfirmen wie Shell Millionen ausgeben, um ihr Image grünzuwaschen, leiden weiterhin Zehntausende an den Folgen der Fahrlässigkeit dieser Unternehmen und der von ihnen verursachten Umweltverschmutzung. Die Regierungen europäischer Länder wie Grossbritannien, Niederlande, Frankreich und Italien müssen sich für eine effektive Sanierung dieser Gebiete einsetzen und sicherstellen, dass die betreffenden Unternehmen für die verheerenden Verschmutzungen des Nigerdeltas zur Verantwortung gezogen werden.»

Osai Ojigho von Amnesty International Nigeria:

«Die Entdeckung der Ölvorkommen im Ogoniland hat grosses Leid über dessen BewohnerInnen gebracht. Wir haben über viele Jahre hinweg dokumentiert, dass Shell die durch Ölkatastrophen bedingten Verschmutzungen nicht beseitigt hat. Es ist eine Katastrophe, dass da nichts passiert ist. Die Verschmutzungen gehen mit schweren Auswirkungen auf die Menschenrechte einher und betreffen unter anderem die Gesundheit der Menschen und ihren Zugang zu sauberem Wasser und Nahrung. Damit darf Shell nicht durchkommen! Wir werden so lange weiterkämpfen, bis das gesamte Ogoniland saniert ist.»

Die wichtigsten Ergebnisse der neuen Studie im Überblick:

  • Die Sanierungsarbeiten haben erst an 11 Prozent der von UNEP identifizierten kontaminierten Standorte begonnen. Nur an 5 Prozent der Standorte laufen gegenwärtig Sanierungsarbeiten. Kein Standort ist bisher vollständig saniert worden.
  • Die von UNEP empfohlenen «Soforthilfemassnahmen» (unverzügliche Massnahmen zur Wiederherstellung der Trinkwasserversorgung und zum Schutz der Gesundheit) wurden nicht ordnungsgemäss umgesetzt. Es gibt immer noch Gemeinden ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser.
  • Eine Überwachung der Gesundheit der BewohnerInnen  und der Umwelt in den betroffenen Gebieten fand nicht statt.
  • Es gibt keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, wie die seit 2018 bereitgestellten Projektmittel in Höhe von 31 Mio. USD eingesetzt wurden.
  • 11 der 16 mit den Sanierungsarbeiten beauftragten Unternehmen haben Berichten zufolge keine nachweisbare Expertise hinsichtlich der Beseitigung von Ölverschmutzungen oder vergleichbarer Bereiche.
  • Bei HYPREP gibt es zahlreiche Interessenkonflikte. So ist Shell weiterhin in den für die Sanierung zuständigen HYPREP-Gremien vertreten - sogar mit eigenem Personal in HYPREP.
Die für den Bericht verantwortlichen NGOs fordern eine rasche Sanierung. Von der nigerianischen Regierung verlangen sie:
  • sicherzustellen, dass die Angehörigen des Ogoni-Volks ihre elementaren Menschenrechte wahrnehmen können, zu denen auch das Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser gehört.
  • eine Strategie zur Bekämpfung der Ursachen der Ölverschmutzung zu entwickeln und umzusetzen und dabei die örtliche Ogoni-Gemeinden vollumfänglich einzubeziehen.
  • HYPREP zu stärken und dafür zu sorgen, dass diese Institution unabhängig und transparent arbeitet und in seinen Überwachungs- und Leitungsstrukturen keiner Einflussnahme durch Shell ausgesetzt ist.
  • die Veröffentlichung aller Informationen zum Sanierungsprojekt und zu dessen Fortschritten.
Von Shell verlangen die NGOs:
  • eine angemessene Entschädigung aller Gemeinden, die von fehlgeschlagenen, nicht erfolgten oder verzögerten Sanierungen der ölverseuchten Gebiete betroffen sind.
  • eine Stilllegung alter und beschädigter Pipelines.
  • eine Zusage für die Finanzierung der Sanierungsarbeiten im Ogoniland und dem Rest des Nigerdeltas bis zur vollständigen Beseitigung der Verschmutzungen.
Von den europäischen Ländern, in denen die im Nigerdelta aktiven Ölfirmen ansässig sind, verlangen die NGOs:
  • eine grundsätzliche Neuausrichtung zu Gunsten einer Priorisierung der Sanierungsarbeiten im Ogoniland und dem Rest des Nigerdeltas gegenüber den Interessen der betreffenden Unternehmen.
  • eine verstärkte Zusammenarbeit mit der nigerianischen Regierung sowie deren vermehrte Unterstützung mit folgenden Zielen: effektive Umsetzung der UNEP-Empfehlungen, unabhängige Kontrolle der Ölbranche, wirksame Rechtsbehelfe für die betroffenen Gemeinden.
  • die Einführung strenger internationaler Bestimmungen für die Haftung im Ausland tätiger Unternehmen, zum Beispiel durch ein EU-Gesetz zur Verpflichtung der Wirtschaft zu von gebührender Sorgfalt geleiteter Verfahren in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte oder durch ein bindendes UN-Abkommen zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte.

In diesem Jahr muss sich Shell vor europäischen Gerichten in einer Reihe von Verfahren für seine Aktivitäten in Nigeria verantworten.

Link zum Bericht in Englisch