Eine Volksinitiative, die gewissen Autokraten Freude bereitet. © Laszlo Szirtesi / shutterstock.com
Eine Volksinitiative, die gewissen Autokraten Freude bereitet. © Laszlo Szirtesi / shutterstock.com

Anti-Menschenrechts-Initiative Die SVP-Initiative ist ein Steilpass für Autokraten

Kommentar von Beat Gerber, Mediensprecher Amnesty Schweiz. Erschienen in der NZZ am Sonntag, 11. November 2018
Die Selbstbestimmungsinitiative zielt im Kern gegen die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Ein Ja zur Initiative wäre ein katastrophales Signal an die Welt.

Beat Gerber. © AI

Am 25. November steht in der Schweiz die grösste Errungenschaft des Menschenrechtsschutzes in Europa zur Disposition. Sollten Volk und Stände der sogenannten Selbstbestimmungsinitiative zustimmen, droht die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK.

Das wäre ein Steilpass an autoritäre Regimes, die sich nach Möglichkeit von jenen internationalen Verträgen lösen wollen, die ihre Macht einschränken. Weshalb sollten andere Länder die Menschenrechte respektieren, wenn sich sogar ein Kleinstaat wie die Schweiz mit Genf als «Welthauptstadt der Menschenrechte» nur noch nach Belieben an Völkerrecht hält?

Die Initianten der SVP versuchen den Schweizerinnen und Schweizern die Abstimmung als Ausdruck der Freiheit schmackhaft zu machen, als ultimatives Machtwort des Volkes gegen die angeblich wachsende Autorität fremder Richter und Eliten. Es muss zu denken geben, dass auch ein Autokrat wie der russische Präsident Putin seiner Bevölkerung die Kontrolle über die Justiz als Wiedererlangung von Souveränität und nationaler Grösse verkauft hat.

Es stellt sich immer drängender die Frage, welches Europa wir kommenden Generationen überlassen wollen, ein Europa des Völkerrechts oder des Faustrechts?

Menschenrechte werden heute in Russland als etwas Fremdes angeschaut, als ein Produkt westlicher Propaganda. Urteile des Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR werden nur umgesetzt, wenn das eigene Verfassungsgericht zustimmt. Auch die Türkei und Aserbaidschan weigern sich notorisch, Urteile aus Strassburg zu akzeptieren.

Beim internationalen Menschenrechtsschutz drohen die Deiche zu brechen. Es stellt sich immer drängender die Frage, welches Europa wir kommenden Generationen überlassen wollen, ein Europa des Völkerrechts oder des Faustrechts?

Ungarns Ministerpräsident Orban lässt unter eklatanter Verletzung der Uno-Flüchtlingskonvention Asylsuchende am Grenzzaun abweisen oder in Lager sperren. Die nationalkonservative PiS-Regierung in Polen versucht die Unabhängigkeit der Justiz zu zerschlagen, indem sie willfährige Richterinnen und Richter einsetzt.

Doch der Druck auf die Menschenrechte kommt nicht mehr nur von Autokraten und illiberalen Regierungen. Die Stimmungsmache gegen Asylsuchende und kriminelle Ausländer hat mit der EMRK eine beliebte Projektionsfläche gefunden. Das ist keine alleinige Erfindung der SVP. Seit Jahren diffamieren Rechtsparteien in Europa die EMRK als «Charta für Kriminelle». 2014 forderten die Tories in Grossbritannien, den EGMR zu einem Beratungsgremium zu degradieren, dessen Entscheide unverbindlich sein sollen.

Die rechte Regierung in Dänemark versuchte 2017 eine Reform anzustossen, nach der die Konvention nur noch für Staatsbürger gelten sollte – ein Frontalangriff auf die Universalität der Menschenrechte, die ihre Stärke gerade daraus ziehen, dass sie für alle gelten, unabhängig von Herkunft, Religion oder Ethnie.

Leicht geht vergessen, welche immense Bedeutung die Konvention für Menschen hat, die Unrecht erfahren.

Wenig erstaunlich, dass auch die Alternative für Deutschland (AfD) auf den Trend aufgesprungen ist. Die deutschen Rechtspopulisten verlangen, dass ausländischen Straftätern oder sogenannten Gefährdern der Menschenrechtsschutz entzogen wird. «Was hat die EMRK je für uns Deutsche getan?», dröhnt es in Meinungsforen und Blogs.

Leicht geht vergessen, welche immense Bedeutung die Konvention für Menschen hat, die Unrecht erfahren. Kein anderer völkerrechtlicher Vertrag schützt den Einzelnen wirkungsvoller vor staatlicher Willkür. «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist die letzte Hoffnung für viele Menschen, die in der Türkei unschuldig verfolgt werden, die letzte Garantie, dass Gerechtigkeit doch obsiegt» sagte mir Idil Eser, die Direktorin von Amnesty-Türkei, die selbst monatelang wegen falscher Terroranschuldigungen in Haft sass.

Die Schweiz wird bei einer Annahme der SVP-Initiative nicht zum Willkürstaat. Doch auch hierzulande gab es Unrecht, das erst unter dem Druck der EMRK beendet wurde. So wurden etwa Tausende von Jugendlichen und Erwachsenen bis 1981 ohne Gerichtsverhandlung wegen «liederlichen Lebenswandels», «Vaganterei» oder «Arbeitsscheue» eingesperrt. Erst nachdem 1974 die EMRK in Kraft getreten war, sahen sich die Behörden gezwungen, die administrative Versorgung abzuschaffen.

Die Menschenrechte sind in der Bundesverfassung nicht in Stein gemeisselt, sie sind vielmehr in der Schweiz besonders verwundbar, da sie jederzeit durch Volksinitiativen beschnitten werden können. Auch das Parlament kann Bundesgesetze erlassen, die den Rechten in der Verfassung widersprechen. Fällt der Schutz durch die Menschenrechtskonvention weg, wird es in der Schweiz einfacher, auf Kosten von Minderheiten sowie den verletzlichen und schwachen Gruppen der Gesellschaft Politik zu machen. Wir stehen vor einer Schicksalsabstimmung für die Menschenrechte.