Eine Amnesty-Aktivistin nimmt am Briefmarathon in Bern teil. © Marieke Wijntjes / Amnesty International
Eine Amnesty-Aktivistin nimmt am Briefmarathon in Bern teil. © Marieke Wijntjes / Amnesty International

Der Briefmarathon – Geschichte und Erfolg des grössten Menschenrechtsevents Millionen von Briefen

In der Woche vor dem 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, veranstaltet Amnesty International den globalen Briefmarathon. Menschen auf der ganzen Welt werden Briefe schreiben: zur Unterstützung von Gefangenen aus Gewissensgründen oder Menschen, die wegen ihres friedlichen Engagements für die Menschenrechte gefährdet sind.

Mit dem Briefmarathon erinnert Amnesty International an den 10. Dezember 1948, als die Generalversammlung der Uno die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet hat. Die Erklärung verankert zentrale Menschenrechte wie das Recht auf freie Meinungsäusserung oder das Folterverbot. Sie stellt damit eine wichtige Grundlage für Rechtsstaat und Demokratie dar.

...eine Idee

Am 10. Dezember 2001 führte eine Lokalgruppe der polnischen Sektion von Amnesty International in Warschau einen sogenannten «Briefmarathon» durch. Die Teilnehmenden trafen sich während 24 Stunden, schrieben 1000 Briefe zugunsten ausgewählter Gewissensgefangener und schickten sie an die Regierungen der betreffenden Länder. Die Aktion war ein grosser Erfolg. Zwei Jahre später wurde die Idee von Amnesty-Sektionen auf der ganzen Welt aufgenommen. Die Aktion wuchs stetig. 2017 haben Mitglieder und SympathisantInnen von Amnesty in über 140 Ländern am Briefmarathon teilgenommen und während rund zwei Wochen rund fünf Millionen Briefe, Mails, Faxe und Solidaritätsbotschaften geschrieben. 2018 waren es mehr als fünfeinhalb Millionen und 2019 über sechseinhalb Millionen. Dazu haben hunderttausende von Menschen rund um die Welt  Solidaritätsbotschaften an MenschenrechtsverteidigerInnen geschrieben.

...ihre Ziele

Ziel des Briefmarathons ist es, in einer konzertierten Aktion weltweit möglichst viele Menschen dafür zu gewinnen, Briefe zu schreiben – Briefe an diejenigen Regierungen, welche verantwortlich sind für die unrechtmässige Inhaftierung, die Folter und Misshandlung oder eine sonstige Gefährdung von Personen, die sich friedlich für ihre Überzeugungen und/oder die Gewährleistung der Menschenrechte in ihrem Land eingesetzt haben. Deren Schicksal gewinnt dadurch eine relative Öffentlichkeit, und der Druck auf die Regierungen steigt. Die Briefe sind gleichzeitig für die Betroffenen und ihre Angehörigen auch ein Zeichen der Solidarität, ein Signal gegen das Vergessen. Amnesty kann für die Einrichtung von Standaktionen und Schreibstuben auf die Unterstützung zahlreicher Schulklassen, Jugendgruppen und Kirchgemeinden zählen.

...und ihr Erfolg

Die Briefaktionen von Amnesty International sind eine effiziente Massnahme, um das Leben gefährdeter MenschenrechtsverteidigerInnen zu schützen. In den vergangenen Jahren kamen mehrere Millionen von Briefen und Petitionen zusammen! Mehrere Zehntausend davon aus der Schweiz. Der geballte Versand von Briefen, E-Mails, SMS- und Fax-Mitteilungen an die verantwortlichen Regierungen zeigt oft Wirkung und verbessert die Situation der Betroffenen: Gewissensgefangene werden freigelassen, Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt oder die Haftbedingungen verbessern sich.

Der Briefmarathon hat Leben verändert

Dank dem Einsatz aller, die Briefe, Mails und andere Botschaften verschickt haben, erzielen wir konkrete Erfolge. Hier einige Beispiele der letzten Jahre:

Anklage gegen Joanah Mamombe, Cecillia Chimbiri und Netsai Marova fallen gelassen

5f78d4be-32cb-4e2d-88f6-90570caaeaa4.jpeg Cecillia Chimbiri und Joanah Mamombe freuen sich über die vielen Unterstützungsbriefe, die ihnen im Rahmen des Briefmarathons zugesandt wurden. © Amnesty International Simbabwe

Joanah Mamombe, Cecillia Chimbiri und Netsai Marova aus Simbabwe wurden 2020 festgenommen, nachdem sie eine Protestbewegung gegen die Regierung angeführt hatten. Im Anschluss an ihre Festnahme wurden sie von den Behörden geschlagen und sexuell missbraucht. Dabei erlitten sie so schwere Verletzungen, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Während sie sich noch im Krankenhaus befanden, wurden sie wegen Straftaten im Zusammenhang mit dem Protest angeklagt, dann erneut festgenommen und beschuldigt, über das, was ihnen passiert war, gelogen zu haben. Während Netsai aus dem Land floh, kam der Fall von Joanah und Cecillia vor Gericht.

Im Rahmen des Briefmarathons 2022 setzten sich Amnesty International und zahlreiche Unterstützer*innen für diese drei Frauen ein. Amnesty International Simbabwe unterstützte sie während des gesamten Gerichtsprozesses. Im Juli 2023 wurden Joanah und Cecillia schliesslich freigesprochen. Während sie die Unterstützungsbriefe vorlas, sagte Joanah: «Vielen Dank an unsere Freunde von Amnesty International, die all diese Briefe geschrieben haben. Wir beginnen nun unsere Reise zur Heilung.»

Bernardo Caal Xol, Umweltaktivist aus Guatemala, ist frei

Bernardo Caal Xol beim Öffnen der vielen Briefe, die er im Rahmen des Briefmarathons erhalten hat. © James Rodriguez for Amnesty International

Bernardo Caal Xol, ein indigener Umwelt- und Menschenrechtsaktivist aus Guatemala, war zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er sich für die Rechte seiner Gemeinschaft eingesetzt hatte. Amnesty International unterstützte Bernardo Caal Xol während des Briefmarathon 2021. Aktivist*innen führten weltweit rund eine halbe Million Aktionen durch, forderten seine Freilassung und schickten ihm und seiner Familie Solidaritätsnachrichten. Der Druck wirkte: Am 24. März 2022 konnte Bernardo das Gefängnis frühzeitig verlassen. «Danke an jede*n Einzelne*n von euch», sagte er glücklich.
Mehr zu Bernardo Caay Xol im AMNESTY-Magazin der Menschenrechte : Der Kapitän des Cahabón

 

Briefmarathon-2023-Rita-Karasartova-Kirgisistan-Menschenrechtsverteidigerin-Meinungsfreiheit-Versamm.jpgRita Karasartova, Kirgistan: Freispruch für mutige Menschenrechtsverteidigerin

Rita Karasartova wurde am 14. Juni 2024 in Kirgistan freigesprochen. Sie gehörte zu den mindestens 22 Angeklagten im sogenannten «Kempir-Abad-Fall».  Diese hatten sich friedlich für die Wasserrechte ihrer Gemeinschaft eingesetzt. Für Rita Karasartova hatte sich Amnesty im Rahmen des Briefmarathons 2023 eingesetzt. Mehr über diese mutige Aktivistin können Sie hier lesen.

Briefmarathon 2020 mit Germain Rukuki, Idris Khattak, Özgür Gür & Melike Balkan, Nassima al-Sada und Jani Silva

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Auch die Aktionen des Briefmarathon 2020 erzielten konkrete Erfolge: Nassima al-Sada aus Saudi Arabien und Germain Rukuki aus Burundi konnten das Gefängnis verlassen, die METU-Pride Aktivist*innen aus der Türkei wurden freigesprochen. Talia, die Tochter von Idris Khattak durfte ihren Vater in Militärgewahrsam besuchen und Jani Silva weiss, dass sie in ihrer Arbeit nicht allein ist. Mehr Informationen hier.

Yasaman Aryani, Frauenrechtsaktivistin Iran

Yasaman Aryani © private

Yasaman Aryani wurde zu 16 Jahren Haft verurteilt, weil sie sich gegen das Kopftuchobligatorium im Iran eingesetzt hat. Während dem Briefmarathon 2019 haben tausende Briefe von Aktivisten und Aktivistinnen für ihre Freilassung geschrieben. Noch während des Briefmarathons 2019 wurde ihre Strafe auf fünfeinhalb Jahre reduziert. Das ist zwar noch lange nicht genug, aber ein ermutigender Schritt in die richtige Richtung, zu dem wir alle mit dem Briefmarathon beigetragen haben.

 

Vitalina Koval, LGBTI* Aktivistin in der Ukraine

Vitalina_web_portrait_bodytext.jpg © Private

«Heute, morgen und an vielen weiteren Tagen werde ich eure Briefe lesen, jeden einzelnen davon. Sie geben mir die Kraft, weiter zu machen und mich weiter für meine Überzeugungen einzusetzen. Ich bin zutiefst dankbar für eure Unterstützung.» Diese Sätze veröffentlichte Vitalina Koval 2019 auf ihrem Facebookprofil. Vitalina setzt sich in der Ukraine für LGBTI* Rechte ein. Nachdem sie am 8. März 2018 eine Demonstration für den Internationalen Frauenkampftag organisiert hatte, wurde sie von einer Gruppe Rechtsextremer angegriffen. Amnesty International unterstützte sie während des Briefmarathons 2018.

Mahmoud Abou Zeid, kurz Shawkan, Fotojournalist in Ägypten

Shawkan_web_portrait_bodytext.jpg ©Private

Nach fünf Jahren Haft wurde der ägyptische Fotojournalist im März 2019 endlich freigelassen. 2013 ist er bei einer Demonstration zur Unterstützung des damaligen Präsidenten Mohammed Mursi festgenommen worden. Die Polizei war äusserst brutal gegen die Demonstrierenden vorgegangen: Fast 700 Personen sind umgekommen. Als die Polizei herausfand, dass Shawkan als Journalist Fotos von der Demonstration und der Repression gemacht hatte, wurde er unter Vorwänden verhaftet. Amnesty International hat sich während der fünf Jahren, immer wieder für Shawkan eingesetzt, unter anderem auch während des Briefmarathons 2016.

Tadjadine Mahamat Babouri, kurz Mahadine, Blogger im Tschad

Mahadine_web_portrait_bodytext.jpg © Rebecca Hendin

Im April 2018 wurde der Blogger Mahadine endlich freigelassen. Nachdem er mehrere Videos, in welchen er die Verwaltung der Staatsgelder kritisierte, auf seinem Facebookprofil veröffentlicht hatte, war er 2016 inhaftiert worden. Er ist, wie etwa ein Duzend andere Personen im Tschad auch, von den Behörden verhaftet worden, weil er die Regierung kritisierte. Amnesty International setzte sich im Rahmen des Briefmarathons 2017 für ihn ein. Dabei haben ihm fast eine halbe Million Menschen Briefe geschrieben oder eine Petition unterschrieben, die seine Befreiung forderte.